Freitag, 27. Mai 2011

Voraussetzungen für therapeutischen Heilerfolg durch Qi Gong

Qi Gong ist seit tausenden von Jahren eine der Säulen der Traditionellen Chinesischen Medizin.
Sowohl bei präventiver wie auch bei therapeutischer Anwendung sind drei essenzielle Voraussetzungen zu erfüllen.

  1. „Entspannung“ (Song) und „Still-werden“ (Ching)
  2. Synchronisation (Übereinstimmung, Vereinigung) von Aufmerksamkeit (Yi) und Atmung
  3. Aneinanderreihen von Üben und Ausruhen (Einfach Sein)

Die erste Voraussetzung: Entspannen und Still-werden

Qi Gong erfordert zur Wirksamkeit der Übungen, seien es Übungen des „Stillen Qi Gong“ oder „Übungen in Bewegung“, körperliche Entspannung und innere Ruhe (Still-werden).

In diesem Blog wurden bereits einige Entspannungsübungen vorgestellt. Sie beschreiben, was gemacht werden kann, um den Körper des Übenden mit all seinen Muskeln, Sehnen und Gelenken vollkommen zu lockern und zu entspannen.

Man beginnt bei der Entspannung immer mit Kopf, Gesicht und Augen, lächelt nach Innen und entspannt den gesamten Körper von oben nach unten, egal, ob man steht, geht, sitzt oder liegt.

Dazu sind auch Jogaübungen oder Schüttelübungen, die den gesamten Körper lockern und schon als daoistische Verjüngungskur in diesem Blog gepostet wurden, bestens geeignet.

Achtung:

Bei der körperlichen Lockerung ist strikt darauf zu achten, dass weder keuchender Atem oder Kurzatmigkeit, noch Atemknappheit oder Atemnot hervorgerufen werden. Man soll in jeder Phase der Lockerungsübungen in der Lage sein, leicht, ruhig und sanft zu atmen. Die körperliche Lockerung und Entspannung „Sung“ als Grundlage für Qi Gong Übungen stehen im krassen Gegensatz zu den im Sport üblichen Aufwärmübungen, wo der Körper durch Erhöhung von Pulsfrequenz und Körpertemperatur vor eventuellen Verletzungen geschützt und auf Betriebstemperatur gebracht wird. Im weichen Qi Gong sind die Bewegungen sanft und es kommt niemals zu Überdehnungen von Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken. Es geht einzig darum, den Körper in seiner Gesamtheit zu lockern und für den Qi-Fluss durchlässig zu machen. Das passiert eben nur, wenn auch dieses Lockern täglich geübt wird, und alle Lockerungsübungen in Ruhe und Natürlichkeit, ohne Krafteinsatz und Anstrengung ausgeführt werden. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit auf die bewegten Körperteile und es wird bewusst solange gelockert, bis auch der letzte Rest von Anspannungen im Körper verschwindet. Nur ein entspannter Körper ist für die Energien durchlässig und Sinn des Qi Gong ist es, Qi-Blockaden auflösen, das Qi im Energiekreislauf zu bewegen, auch die entferntesten Zellen mit frischem Qi zu versorgen und altes verbrauchtes Qi auszuscheiden.

Wenn wir beim Lockern unsere Aufmerksamkeit auf die zu entspannenden Körperteile oder Körperregionen richten, erfolgt gleichzeitig eine Entspannung des gesamten Denkkomplexes.
Äußere Reize werden immer mehr in die Ferne rücken und die Denksubstanz wird mehr und mehr beruhigt. Herumirrende Gedanken werden nicht mehr verfolgt und verlieren immer mehr an Bedeutung. Mit der Fortdauer der Übung lernt man, Gedanken kommen und gehen zu lassen, ohne dass sie eine Spur hinterlassen. Das Still-werden (Ching), der Zustand der inneren Ruhe, geht immer Hand in Hand mit der Entspannung der Muskulatur. Je entspannter die Muskulatur ist, desto tiefer ist der erreichte Grad des inneren Ruhezustandes.

Natürlich erschweren gewisse Lebenssituationen das Entspannen und Still-werden. Wenn man aber nicht in der Lage ist, diese Situationen aus eigener Kraft zu meistern, sollte man nicht davor zurückscheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, sei es durch einen guten Qi Gong Lehrer oder durch einen guten Therapeuten.

Will man sich aber trotz schwieriger Lebenssituation aus eigener Kraft zur Selbsthilfe aufraffen, so funktioniert das nur mit viel Üben und Entspannen. Mit Üben und Loslassen. Man muss Üben und geduldig warten, bis der Körper durchlässig wird. Der „Song“ Zustand kann nicht gemacht werden, er stellt sich bei Entspannung und innerer Ruhe von selbst ein. Und letztlich wird die Ruhe und die Natürlichkeit auch im täglichen Leben Einzug halten.

Die zweite Voraussetzung: Übereinstimmung von Aufmerksamkeit und Atem


Grundsätzlich sollte ein Anfänger im Qi Gong vorerst einmal natürlich  atmen, also den Atem frei fließen zu lassen und nicht versuchen, den Atem zu regulieren. Der Atem sollte nach Lockerung und Still-werden rund, weich, langsam und tief sein. Rund heißt, der Atem sollte von selbst kommen und gehen, ohne jedes Wollen, und zwar ohne jede Anstrengung. Rhythmisch, ohne merklichen Übergang von Einatmen zum Ausatmen, wie eine Welle, die sich aufbaut und wieder abschwillt, ohne Kraftanwendung der Atemmuskulatur.

Ideal ist die Ein- und Ausatmung durch die Nase. Wenn es gelingt, dass der Atem so sanft fließt wie durch einen Seidenfaden gezogen, der jäh abreißen könnte, kann dazu übergegangen werden, den Atem in der Vorstellung tief und sanft in den Unterbauch zu ziehen. Dabei ist der Atem wie eine Sinuskurve, die etwas steiler ansteigt und etwas flacher abfällt. Das heißt, das Einatmen ist etwas kürzer und das Ausatmen ist etwas länger.

Die Aufmerksamkeit des Atmenden ist auf den Atem gerichtet. Aber nicht angespannt oder krampfhaft, sondern beobachtend. Der Atmende wird Beobachter des eigenen Atems, er wird zum einfachen Zuschauer. Er beobachtet etwas, was er schon hunderttausende mal gemacht hat, ohne sich dessen bewußt zu werden. Aber er greift keinesfalls in diesen Atemprozess ein!

Je ruhiger und gelassener das Gehirn und das Nervensystem sind, desto langsamer geschieht auch die Atmung ohne Kraftanstrengung. Und je ruhiger die Atmung verläuft, desto leichter wird ein überreiztes vegetatives Nervensystem wieder ins Gleichgewicht gebracht.

Achtung:

Die Aufmerksamkeit wird immer durch die Atmung gelenkt und nicht umgekehrt. Der Atem bestimmt, die Aufmerksamkeit folgt und haftet ihm an.
Bei Qi Gong in Bewegung bestimmt immer die Atmung und die Atemlänge die Länge der Bewegung, nie umgekehrt!

So kommt es zur Vereinigung bzw. Übereinstimmung von Aufmerksamkeit und Atmung.


Die dritte Voraussetzung: Aneinanderreihen von Üben und Ausruhen (Einfach Sein)


Im Allgemeinen definiert sich der westliche Mensch durch Aktivität. Von Kindheit an sind wir konditioniert, zu funktionieren und „etwas zu tun“, etwas zu leisten. „Nichtstun“ wird gleichgesetzt mit „Nichts taugen“, den natürlichen Wechsel zwischen Aktivität und Ruhe müssen wir erst wieder lernen. Wir müssen wieder lernen, auf den Körper zu hören und seinem Ruhebedürfnis nach Anstrengungen, seien diese körperlicher oder geistiger Art, nachzukommen.

Es ist daher in der Regel viel leichter, einem Patienten verständlich zu machen, was er tun, was er üben soll, als ihn/sie dazu zu bringen, etwas nicht zu tun, etwas zu unterlassen.

Es ist nicht leicht, einen Übenden davon zu überzeugen, dass er nach all seinen Aktivitäten und Übungen den Anforderungen seines Organismus nach Passivität, nach Ruhe, folgen und in den Zustand des absoluten Nichtstuns eintreten soll.

Entsprechend dem kosmischen Gesetz von Yin und Yang muss auf Aktivität Ruhe folgen, dem Üben muss das Nicht-Üben folgen.

Die Patienten finden meistens nicht den richtigen Weg zwischen Üben und „Nicht Üben“.

Vielfach sind Kranke passiv, deprimiert, halten die Übungen für nicht notwendig und zweifeln an der Wirksamkeit. Damit verabschieden sie sich innerlich von jedem möglichen Selbstheilungsprozess des Organismus.

Andere wieder sind über-motiviert und wollen die Heilung willentlich erzwingen. Sie legen also in einem Augenblick, wo das Feuer schon gut brennt, noch soviel Holz nach, dass der Ofen explodiert.

Der Selbstheilungsprozess des Organismus greift dann, wenn der Übende nach Beendigung der Übungen den Zustand „passiver Ruhe“ einnimmt. Einen Zustand des “Nicht Wollen“ , des „Nicht Eingreifen“, des „Loslassen“, des „Vergessen jeden Wollens“, diesen Zustand nennt man „Wu Wei“.

Wer diesen Zustand des „Nicht-Eingreifen“ erlernt, der begreift, dass die Natur seinen Organismus viel besser reguliert,als das durch irgendein „Tun“ möglich wäre, das durch das individuelle Bewusstsein gesteuert wird.

Nach längerer Zeit des täglichen Übens des „Wu Wei“ wird der Körper im Laufe der Übungsphasen noch ruhiger, die Pulsfrequenz sinkt und der/die Übende hat manchmal das Gefühl, überhaupt nicht mehr zu atmen.

Der Körper wird durchlässig für Qi wie ein frisch aufgeschütteltes Daunenpolster oder wie frisch beackerter Erdboden, der Luft und Wasser aufnehmen kann.

Manchmal erlangt der/die Übende auch das Gefühl, dass die körperlichen Begrenzungen verschwinden und er/sie mit der Umwelt, mit dem Kosmos verschmilzt.

Nichts mehr wird willentlich herbeigeführt, es geschieht und man läßt es geschehen. Der Zustand ist geprägt von erhöhter Wahrnehmungsfähigkeit, innerer Harmonie und Heiterkeit und Abkapselung gegenüber äußeren Einflüssen und Reizen.

In tiefer seelischer Ruhe wird oftmals rationales abstraktes Denken in bildliche und sinnliche Wahrnehmung umgewandelt. Komplizierte geistige Zustände und Probleme werden durch die Regulationsfähigkeit des Geistes zu einfachen Zuständen.

Dies nennt man allgemein den „Qi Gong Zustand“ Das ist jener Zustand, wo Selbstheilkräfte des Organismus die Reparaturarbeiten in KörperGeistSeele erfahrungsgemäß am besten durchführen können.

In der modernen Terminologie spricht man auch von „Ruhezustand der Gehirnrinde“ oder vom „Zustand der kortikalen Hemmung“ oder von der „speziellen Schutzhemmung“ .
Dieser spezielle Zustand der Großhirnrinde  wird auch "protektiver, inhibitorischer Ruhezustand genannt.


Schon die alten Qi Gong Meister machten die Erfahrung, dass durch Qi Gong gewisse Reflexe bedingt und ausgebildet werden. Wichtig dabei ist, dass die ganze Aufmerksamkeit (Yi) nur auf eine Sache (in unserem Fall auf die Atmung) gerichtet ist.

Auch heute erlebt der Qi Gong Übende, dass er anfangs viel Zeit des Übens damit verbringt, seine Vorstellungskraft und Aufmerksamkeit zu schulen, um zu lernen, Qi zu leiten und zu lenken.

Irgendwann nach häufigem Üben passiert es  dann, dass alleine eine kurze gezielte Vorstellung oder alleine ein Gedanke die beabsichtigte Qi Bewegungen im Körper bewirkt und den Strom des Qi Flusses reflexartig spürbar macht.

Die moderne Neurophysiologie erforschte (vereinfacht ausgedrückt), dass sich die entstehenden aufeinanderfolgenden Reizwirkungen zu Nervenreizungen umwandeln, die entlang der Nervenfasern in das zentrale Nervensystem laufen, wo die Reize nach den entsprechenden Umschaltungen über andere Bahnen in das entsprechende Organ gelangen. Die dort ankommenden Reize lösen ganz spezifische Reaktionen in den ausführenden Zellen im Organ aus.

Durch die ständig erfolgenden Reize kann das allgemeine positive Funktionieren des Organismus beeinflusst werden. Genauso können vice versa Krankheiten als Wirkung der negativen Konditionierung entstehen, die ebenfalls durch die Einwirkung äußerer und innerer Reize entstanden ist.

Dem „Song Zustand“ kommt nach dieser Theorie eine besondere Bedeutung zu. Dieser Zustand entspricht der schon genannten „speziellen Schutzhemmung“.

Das sind Hemmungsvorgänge, die in der Funktion der Großhirnrinde in den Gehirnzellen eine wichtige physiologische Ruhe herbeiführen. Dadurch kommt es, Neurobiologen mögen mir die Vereinfachung verzeihen, zu einer Abschwächung des Reizzustandes der Gehirnrinde. Das ermöglicht eine schnellere Regeneration der Nervenzellen und bewahren sie vor der völligen Erschöpfung.

Je schwächer das Nervensystem ist, desto weniger verträgt es Überbelastung und umso leichter können sich neurotische Symptome entwickeln. Dem wirkt also diese „spezielle Schutzhemmung“ entgegen.

Die Schutzhemmung kann auch durch Schlafmittel, andere Medikamente und Hypnose erreicht werden.

Die TCM Therapeuten in den Sanatorien Chinas bewiesen in unzähligen Fällen, dass durch die „Inneren Nährenden Übungen“ die gleiche Wirkung ohne Einnahme von Medikamenten erreicht werden kann. Allerdings dauert es länger, sie zu erlernen und zu üben. Der Vorteil dieser Qi Gong Übungen ist, dass sie keine Nachwirkungen hervorrufen.

Bei Interesse sind Übungsbeschreibungen nachzulesen in den Beiträgen „Innere Nährende Atemübungen“, gepostet in diesem Blog.











© 2011Copyright: Dr. Reinhard Hörmann

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