Sonntag, 13. März 2011

Yin und Yang

Der Ursprung aller Dinge wird von den Daoisten „Wuji“ genannt. Als „Wuji“ wird jener Urzustand bezeichnet,, in dem alle Existenzen enthalten, aber noch nicht in Erscheinung getreten sind. Das wird symbolisch als leerer Kreis dargestellt.

Dieser Urzustand (Wuji) erzeugt durch Bewegung Yang. Wenn die Bewegung ihren Höhepunkt erreicht hat, folgt Ruhe und durch diese Ruhe entsteht Yin.

Aus dem Urzustand „Wuji“ ist durch die Manifestation von Yin und Yang ein neuer Zustand erzeugt worden, der „Taiji“ genannt wird. Diese Manifestation wird durch das Yin-Yang Diagramm symbolisiert. Im Laufe der Geschichte entstanden verschiedene YinYang Diagramme, das populärste ist die Darstellung eines Kreises, der durch zwei fischähnlichen Figuren in zwei Hälfen geteilt ist, bei dem die weiße Figur das Yang und die schwarze das Yin symbolisiert (dargestellt oben links in diesem Blog ). Dieses Yin-Yang-Symbol wird „Tajitu“ genannt. Der schwarze Teil symbolisiert Ruhe und wird das „Große Yin“ und der weiße symbolisiert Bewegung und wird das „Große Yang“ genannt.

Beide Figuren haben einen kleinen Kreis, der einen Kern oder 'Samen darstellt, in gegensätzlicher Farbe in ihrem Zentrum. Wir finden also im Großen Yang (weiß) einen kleinen schwarzen Kern/Samen, der das „Kleine Yin“ und im Großen Yin (schwarz) einen kleinen weißen Kern/Samen, der das „Kleine Yang“ darstellt.

Das versinnbildlicht, dass jede der Kräfte Yin und Yang den Samen ihres Gegenteils in sich trägt. Das führt zu einem immer wiederkehrenden Kreislauf. Bewegung erzeugt Yang, erreicht die Bewegung ihren Höhepunkt, entsteht Ruhe und damit Yin, hat Yin seinen Höhepunkt erreicht, kommt es wieder zur Bewegung. Dieses dynamische Wechselspiel setzt sich endlos fort.

Das Tajitu ist das daoistische Symbol des Dao. Yin und Yang sind das Dao des Himmels und der Erde. Sie sind der Ursprung aller Lebewesen und Erscheinungen. Das Dao wird auch der „Weg“ genannt. Der Weg ist eine Lebensweise, die dafür sorgt, dass das Qi bewahrt und in ständigem Fluss gehalten wird und kontinuierlich gedeihen kann. Dazu ist ein Leben in Harmonie und Ausgewogenheit gefordert. Die Weisen wussten von diesem Geheimnis des Lebens und folgten dem Weg.

Sie mieden Extreme wie Askese und Völlerei, lebten in Harmonie mit der Natur und ihrem Umfeld und vermieden Entbehrungen ebenso wie Ausschweifungen. Sie übten sich in einer Lebensweise, die Ihrem Ideal der Vollkommenheit entsprach und alle Aspekte des täglichen Lebens erfasste. Sie erfasste die Nahrung, die körperliche Bewegung und Ruhe, die Denkprozesse und innere Stille und das Bemühen, mit sich selbst und mit dem Lauf der Natur in Einklang zu leben. Wer dem Dao folgt, bewahrt und kultiviert sein Qi und erntet Gesundheit und Harmonie in KörperGeistSeele.

Der daoistische Begriff Taiji hat seinen Ursprung in vorgeschichtlicher Zeit. Chinesische Kulturhistoriker meinen, dass es schon einige Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung im Gebiet des heutigen China ein rundes Symbol gab, dessen obere, helle Hälfte den Himmel (Yang) und dessen untere, dunkle Hälfte die Erde (Yin) darstellte.

Die Bezeichnung Taiji bezieht sich nach herrschender Meinung auf den Firstbalken, den horizontalen Balken an der höchsten Stelle eines Hauses, wo beide Dachhälften aneinander stoßen. Aufgrund des Einfallswinkels der Sonne ist ein Dachseite immer heller und der Sonne zugewandt und daher Yang und der andere, schattige Teil von der Sonne abgewandt und daher Yin. Durch die scheinbare Wanderung der Sonne am Himmel ändern sich die Lichtverhältnisse zwischen Morgen und Abend, was morgens Yang repräsentiert und abends Yin. Nur einen Moment, wenn der Sonnenstand am höchsten ist, sind beide Seiten gleich hell. Das symbolisiert den immerwährenden zyklischen Wechsel von Yin und Yang.

Das Dao als „Allumfassende Wirklichkeit“ (symbolisiert durch das Tajitu) hat zwei Aspekte: Einen absoluten Aspekt, das Wuji, das „Eine“ oder „Ureine“ als Ursprung aller Dinge und einen relativen Aspekt, in Form des Wechselspiels von Yin und Yang.

Yin und Yang sind polare Aspekte, sie sind polare Aspekte von Wirkungen des Universums, oder noch klarer, des universellen Qi und im Körper des individuellen Qi.

Yin und Yang sind Grundlage für die Existenz des Kosmos, für die Bewegung der Planeten, für den Lauf der Erde um die Sonne, für das Wetter ect. Durch ihre Vereinigung und Verschmelzung entstehen die fünf Elemente (auch fünf Wandlungsphasen genannt) und aus diesen alles Leben und mit seinen Erscheinungen .

Nach der daoistischen Idee ist der menschliche Organismus Abbild des Makrokosmos. Dementsprechend stehen die körperlichen Prozesse mit den in der Natur wirkenden Elementen, Kräften und Prozessen in einer untrennbaren Verbindung. Der Mensch steht mit dem gesamten Kosmos in einer so engen Abhängigkeit, dass er nicht aus der Natur herausgelöst werden kann. Der Mensch ist ja auch aus unserer heutigen Sicht unbestreitbar ein Teil des Kosmos und unterliegt den Gesetzen der Natur.

So entsprechen Tag und Nacht dem Wach- und Schlafzustand des Menschen. So wie die Jahreszeiten im Verlauf des Jahres entwickelt sich der Mensch von der Geburt über Jugend und Reife zum Alter. Ebbe und Flut sind durchaus mit dem menschlichen Aus-und Einatmen vergleichbar.


Folgende exemplarisch aufgezählte Begriffspaare werden Yin – Yang zugeordnet:

Erde – Himmel, Norden – Süden, das Weibliche – das Männliche, das Empfangende – das Aktive, das Ruhende – das Bewegte, Vergehen – Entstehen, niedersinkend - emporsteigend, verdichtend – ausdehnend, dunkel – hell, weich – hart, unten – oben, hinten – vorne, links – rechts, Gefühl - Intellekt, Substanz – Energie, Winter - Sommer, kalt – heiß, das Potentielle – das Verwirklichte, innen – außen, Hemmung – Erregung, negativ – positiv, Mutter – Vater, fühlen – denken, passiv - aktiv, Depression - Manie etc.

Wenn wir diese Begriffspaare betrachten, werden wir Gegensätze und Gegenüberstellungen erkennen. Das entspricht durchaus unserer westlichen Art zu denken. Wir sind gewohnt, Begriffe klar zu definieren und mit Hilfe von Gegenüberstellungen und durch Aufzeigen von Gegensätzen eindeutige Begriffsprofile zu erstellen. Das ist auch ein Postulat unserer Logik und damit unserer Wissenschaft. Wir haben ein- und abzugrenzen, um Prozesse oder Dinge eindeutig zu beschreiben. Etwas ist oder es ist nicht, etwas ist hart, oder nicht hart (weich), stark oder nicht stark (schwach).

Diese dualistische Art zu denken beherrscht die Denkkultur des Abendlandes seit der griechischen Antike. Klare Aussagen und abgegrenzte und einengende Begriffe ermöglichen es auch, sehr schnell Urteile zu fällen. Es ist für unsere Denkweise typisch, Begriffe sofort und unreflektiert positiv oder negativ zu besetzen. Der Zeitgeist prägt im Alltag unsere Urteile, er bestimmt, was wir für gut oder schlecht empfinden. Redewendungen wie: „Das ist stark“, „tüchtig“, „der oder die ist tough“ beweisen die positive Besetzung dieser Begriffe.

Seit Descartes sind wir auch gewohnt, uns über die Aktivität zu definieren. Die Kernaussage, „cogito ergo sum“, „ich denke, deshalb bin ich“, prägt unsere Gesellschaft seit der Zeit der Aufklärung. Wir fühlen uns verpflichtet, andauernd etwas zu tun und wir haben das Bedürfnis, immer zu denken. Sollten wir wirklich einmal einfach nur dasitzen und nichts tun und gefragt werden, was wir denn gerade tun, dann sagen wir, „ich denke nach“. Seit der Aufklärung begründen wir unsere Existenzberechtigung überwiegend damit, dass wir etwas tun.

Deshalb setzen sich viele Menschen unter Druck, dauernd aktiv zu sein. Entspannung ist immer mehr Luxus, den man sich gegebenen Falls für den Urlaub aufhebt. Und auch da hetzt man herum, filmt, fotografiert, und alles, was man erlebt und gesehen hat, sieht und erlebt man nicht unmittelbar, sondern zu Hause auf den Fotos oder Videos. Wird zur „Entspannung“ Sport betrieben, so erfolgt das meist mit unglaublicher Rivalität und Verbissenheit, das Leistungsdenken wird aus dem Job ins Fitnesscenter oder zum Joggen oder Squash oder in welche Sportart auch immer mitgenommen und was herauskommt ist vielfach Anspannung und Erschöpfung in Kopf und Körper.
Was vielen Menschen fehlt ist die Balance von Yin und Yang. Anstelle des notwendigen Ausgleich tritt Verspannung und Verkrampfung, Folge sind funktionelle Störungen und Streßsyndrome bis hin zum
„Burn Out“.

Es soll an dieser Stelle keineswegs der Faulheit, Trägheit oder dem Drücken vor Verantwortlichkeit Tür und Tor geöffnet werden. Im Gegenteil, Erfolg und Hingabe im Beruf, Sport, Wissenschaft und Kunst, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen usw. sind selbstverständliche Voraussetzungen für unser Leben und für unsere Gesellschaft. Es geht nur darum, eine angemessene Balance zu schaffen, um negative Folgen für die KörperGeistSeele zu vermeiden.

Da die meisten von uns von Geburt an nicht mit materieller Unabhängigkeit gesegnet sind, stehen wir natürlich vor der Aufgabe, täglich unseren Lebensunterhalt zu verdienen.

Daher steht an erster Stelle der Prioritäten der Broterwerb, weil eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit als Lebensbasis unabdingbar ist.

Als junger Mensch denkt man meist nicht an Gesundheit und sinnvolle Freizeitgestaltung, weil „Gesund sein“ als Selbstverständlichkeit angesehen wird und die berufliche Karriere im Vordergrund steht. Und die Freizeit ist vielfach kein Thema, weil man keine freie Zeit hat oder einfach zu müde für sinnvolle Freizeitgestaltung ist.

Wenn dann aber mit Erreichen eines bestimmten Berufszieles durch die ständige Belastung (Überbelastung)
die ersten „Wehwehchen“ auftreten und auch nicht durch diverse Mittelchen oder Medikamente eliminiert werden können und eventuell sogar chronisch werden, kommt doch die Frage nach Werten wie Gesundheit und sinnvolle Freizeitgestaltung zur Schaffung von Balance zum Berufsleben und all den Belastungen des täglichen Lebens auf.

Unsere dualistische Art zu denken ist allen Philosophien Asiens absolut fremd. Insbesondere im Daoismus wurde die Polarität des Denkens immer deutlich betont. Wenn Laotse fordert: „Sei biegsam, aber bleibe fest“
dann hebt er von dem Begriffspaar „Biegsamkeit – Festigkeit“ keine Eigenschaft hervor, er macht damit keinen der beiden Begriffe zum ausschließlichen Ideal oder zu einer absoluten Idee, er sieht keine unüberbrückbaren Gegensätze in diesem Begriffspaar, er reißt nicht im Sinne des Dualismus das Begriffspaar auseinander, um damit die Möglichkeit einer einseitigen Wertung zu schaffen. Laotse vertritt im Sinne des Daoismus und in Übereinstimmung mit den asiatischen Philosophien, die Polarität. Die Begriffe Biegsamkeit – Festigkeit werden untrennbar wie der positive und negative Pol eines Magneten miteinander verbunden und entspringen einer Einheit und ergänzen einander.

Man denke im Zusammenhang von „biegsam und fest“ an einen starken Baum und an jungen Bambus. Bei einem heftigen Sturm wird der starke Baum fallen, der junge Bambus wird sich im Sturm umlegen und dann wieder problemlos aufrichten. Oder man stelle sich Wasser vor. Wasser ist sanft und anpassungsfähig, ohne Gestalt, und doch kann ihm kein Fels und keine Landschaft widerstehen.

In der polaren Art zu denken gibt es keine Fixierung von „besser“ oder „schlechter“, „Glück“ oder „Unglück“.

Dazu folgende daoistische Geschichte:

Ein armer alter Bauer hatte einen wundervollen weißen Hengst. Das Tier wurde so bekannt, dass auch der Kaiser davon erfuhr und seine Leute entsandte, um diesen Hengst zu kaufen. Der arme Alte erhielt für das Pferd unvorstellbar viel Geld angeboten, und die Nachbarn sagten:“so ein Gück, jetzt wird der arme Alte reich“. Der Alte aber sagte: „Warum sagt ihr so ein Glück, sagt einfach man bietet mir viel Geld für das Pferd“. Er lehnte aber den Verkauf mit der Begründung ab, das Pferd sei sein Freund und Freunde verkaufe er nicht. Die Nachbarn schüttelten über so viel Dummheit den Kopf, und als eines Tages der Hengst verschwunden war, sagten sie: „So ein Unglück, jetzt hat der Alte nicht nur kein Geld, sondern auch kein Pferd mehr“. Der Alte begegnete: „Warum sagt ihr so ein Unglück, sagt einfach, das Pferd ist nicht mehr im Stall“. Zwei Wochen später kehrte der Hengst zurück und hatte in seinem Gefolge eine ganze Herde wundervoller Wildpferdestuten. Da sagten die Nachbar, „So ein Glück, jetzt ist der Alte noch reicher“. Der Alte meinte: „Warum sagt ihr so ein Glück, sagt einfach jetzt stehen noch mehr Pferde im Stall“.
Als dann der einzige Sohn des Alten daranging, die Pferde zuzureiten, stürzte er vom Pferd und verletzte sich die Beine schwer. Da sagten die Nachbarn: „So ein Unglück, jetzt ist sein einziger Sohn ,seine einzige Hilfe im Alter, ein Krüppel“. Der Alte sagte: „Sagt doch nicht so ein Unglück, sagt einfach mein Sohn ist verletzt.“
Schließlich brach Krieg aus und alle wehrfähigen Söhne der Nachbarn mussten zu Felde ziehen, nur der Alte behielt seinen lahmen Sohn zu Hause. Da sagten die Leute...

Alles ist relativ, nichts ist absolut. Die Yin und Yang zugeordneten Eigenschaften finden wir in allen Dingen, Phänomenen und in unserem Körper. Ihre Wechselwirkung bedingt jede Existenz. Doch da ist kein Widerspruch, kein Gegensatz, sondern ein ständiges Wechselspiel nach dem Prinzip der ständigen Wandlung. Aus dem kleinen (junge) Yin wird das große Yin, hat das seinen Höhepunkt, seine Grenze erreicht, wird das kleine (junge) Yang aktiv und strebt seinerseits zur Reife zum großen Yang und zu seiner Grenze. Zwischen diesen polaren Aspekten besteht ein dynamisches (labiles) Gleichgewicht, dadurch kann Wachstum, Entwicklung, ständige Wandlung und Leben funktionieren. Yin und Yang sind gleichwertig, bedingen einander wie die beiden Seiten einer Münze, im dynamischen Gleichgewicht sind sie neutral und der Gesamtorganismus, sei es im Makro- oder Mikrokosmos ist gesund. Es existiert kein Zustand, in dem nur Yin - oder nur Yang – Qualität besteht, es gibt immer nur eine zeitlich begrenzte Dominanz einer der beiden Kräfte und beide kehren wie ein Pendel, das immer zurück zu Mitte schwingt, in den Zustand der Ausgewogenheit und Harmonie zurück. Ist die Balance gestört und kann das labile Gleichgewicht nicht hergestellt werden, dann wird das im Chaos enden und die dominante überschießende Kraft wird den Gesamtorganismus zerstören.

So wie im Makrokosmos das Ungleichgewicht von YinYang zu Chaos und Katastrophen führen kann, passiert das auch im Mikrokosmos. Krankheit ist immer eine Disharmonie von Yin und Yang
und damit eine Störung des Gesamtmechanismus. Wobei als Gesamtmechanismus im Sinne des Daoismus immer von Körper-Geist-Seele ausgegangen wird. Körper-Geist-Seele als Einheit ist der Mikrokosmos Mensch. Nach Ansicht der Daoisten ist Krankheit immer ein Symptom der Erkrankung von Körper-Geist- Seele. Die Beseitigung eines Symptoms ist, etwa bei starken Schmerzen, das erste Gebot. Ohne Wiederherstellung der Balance von Yin und Yang in Körper-Geist-Seele wird aber Heilung nicht möglich sein, weil die Ursache des Ungleichgewichts weiter bestünde. Man kann ja auch das Licht nicht ausschalten, indem man nur die Lampe abdeckt!







©2011 Copyright: Dr. Reinhard Hörmann