Montag, 16. Mai 2011

Die Innere Schule der Daoisten und die Äußere Schule der Shaolin

In der daoistischen Tradition liegt das Augenmerk der Übungen und Meditationen der daoistischen Adepten in den ersten Jahren im „Unteren Dant'ien“ im Unterbauch. Das „Untere Dant'ien“ wird auch als das „Untere Feld des Elixiers“ oder als „Goldener Ofen“ bezeichnet.

Der Daoist richtet seine Aufmerksamkeit darauf, immerwährend sein „Unters Dant'ien“ zu behüten wie einen Schatz. Egal ob er spazieren geht oder meditiert. Was auch immer er tut, er richtet seinen gebündelten Geist auf dieses feinstoffliche Energiezentrum im Unterbauch und lenkt in seiner Vorstellung beim Einatmen seine Atmung dorthin. Das nennt man das Feuer unter das Wasser (oder in den goldenen Ofen) bringen. In der klassischen Zeit strebte man damit an, die Unsterblichkeit zu erlangen.

Die Aufmerksamkeit („Yi“) und der Atem sind das „Feuer“, weil Vorstellung und Aufmerksamkeit
(„Yi“ als Aspekt des „Shen“) Yang darstellen. Diese Bündelung von Aufmerksamkeit und Atem führt zu einer Ansammlung von Qi im Unteren Dant'ien. Darüber hinaus kommt es zu einer Ansammlung von Jing, das von den Daoisten seit Alters her als eigene Energie angesehen wird. Jing gilt den Daoisten als Manifestation des Ursprungs Qi, das sich in der machtvollen Sexualenergie als manifestiert. Qi und Jing sind die Brennstoffe im goldenen Ofen „Dant'ien“, der durch Erhitzen zum Überlaufen gebracht wird.

Das wie ein Destillat entstehende „Reine Yang“ steigt auf und durchdringt die anderen Hauptenergiezentren sowohl im feinstofflichen Wesensbereich, wo die Transformation zu „Reinem Qi“ stattfindet, wie auch im körperlichen Bereich, wo Muskeln, Sehnen und Knochen in der Art verändert werden, wie man das nur bei Meistern der Inneren Kampfkunst finden kann. Muskeln und Sehnen werden weich, elastisch und dehnbar, wie die eines Kindes und die Knochen werden durch knochenmarkähnliche Ablagerungen härter als Stahl. Vergleichsmessungen des Gewichts der Unterarme daoistischer Meister und gleich schwerer Männer ergaben, dass die Unterarme der Daoisten um ein Vielfaches schwerer waren als die Unterarme gleichgewichtiger Vergleichspersonen mit mehr Muskelmasse.

Im Daoismus wird wenig gelehrt und gesprochen, aber viel vorgezeigt und geübt. Der Daoistische Meister lehrt durch Vorbildwirkung, nicht mit Worten. Nur durch dauerndes Tun und durch Üben der Aufmerksamkeit und Vorstellung ist es möglich, den erforderlichen Fangsong Zustand zu erreichen.

Das lässt sich nicht mit dem Willen herbeiführen und auch nicht durch Belehrungen übermitteln. Man muss geduldig üben und warten, bis „es“ geschieht. Fangsong ist der Zustand von Gelassenheit und innerer Harmonie, ein Zustand der Heiterkeit und doch von unglaublicher Wachheit und geistiger Frische.

Im Fangsong nähern wir uns wieder dem „Wu Ji“, dem „Ursprünglichen Einen“, ohne Anfang und Ende, aus dem alles kommt und alles zurückkehrt. Im Fangsong wird der Körper durchlässig, das Qi kann frei fließen, die Gesundheit stellt sich ein und unser „Nei Qi“, unser „Inneres Qi“ im Körper wird vermehrt und kultiviert. Und das Yang Qi kann aufsteigen.

Die Tradition der „Shaolin“.

Die Schule der Shaolin wird im Gegensatz zur daoistischen „Inneren Kampfkunst“ als „Äußere Kampfkunst“ bezeichnet. Sie wurde von Ta-Mo, auch bekannt als Bodhidharma oder Daruma, dem ersten buddhistischen Patriarchen der Chan (Zen) Linie, der von Indien nach China kam und 528 n. Chr. 88 jährig verstarb, von außen (Indien) kommend an seine Shaolin Adepten weitergegeben.

Der Name „Äußere Schule“ wurde gewählt, weil Ta-Mo aus Indien kam. Ta-Mo erfand in langjähriger Meditation ein Übungssystem mit der Absicht, die Gesundheit seiner meditierenden Mönche zu fördern und die Gliedmaßen und Muskeln zu stärken. Sie waren durch dauerndes Sitzen in einem erbärmlichen körperlichen Zustand gewesen.

Diese Übungen wurden im Laufe der Zeit weiter entwickelt und es entstand im Gegensatz zu „Inneren Schule (weichen) Schule der Daoisten“ die „Äußere (harte) Schule der Shaolin“, die eine sehr schnelle und harte Kampftechnik anwendet.

Sowohl die Daoisten, wie auch die Shaolin üben „Jinggong“ (Stilles Qi Gong) und „Donggong“
(Qi Gong in Bewegung).

Allerdings üben die Daoisten „Ruan-Qigong“, wie das Weiche Qi Gong bezeichnet wird, während die Shaolin das Harte Qi Gong, das „Ying-Qigong“ praktizieren.

Der Unterschied ist folgender. Im Jinggong üben die Shaolin, das Qi im „Mittleren Dant'ien“ (hinter dem Brustbein gelegen) zu sammeln und später, dieses Qi in die Extremitäten zu leiten. Das üben sie dann im Ying-Qigong, um es direkt im Kampf einzusetzen.


Der Kampfstil der Inneren Schule.


Im Kampfstil der „Inneren Schule“ der Daoisten wird mit dem „Unteren Dant'ien“ (im Unterbauch) gearbeitet und das Qi dort gesammelt, vermehrt und kultiviert.

Es wir sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Beine verwurzelt sind wie die Wurzel eines Baumes (Motto: unten schwer und oben leicht) und der Angriff des Gegners, der mit einer Wucht von 1000 Pfund vorgetragen wird, mit der Kraft von drei Unzen abgewehrt wird.

Die Angriffsenergie des Gegners soll sich gegen ihn selbst richten. Dabei soll keine Kraft, sondern Qi angewendet werden, denn das „Weiche überwindet das Harte“. Der Angriffskraft des Aggressors, die weich aufgenommen wird, begegnet man durch Nachgeben, Haften und Abprallen.

Nachgeben: Der angegriffene Teil oder die Seite des Körpers wird leer gemacht. „Wenn der Gegner uns stoßen will, trifft er eine unendliche Leere“, so überliefern es die Daoisten.

Haften: Es erfolgt die Bindung des Gegners durch Haften, Fühlen, Verstehen und Ausgleich.
Durch andauerndes Üben der geistigen Konzentration erlangt man eine derart starke Energiemanifestation des Haftens als geistige Kraft, dass die Qi Anwendung die Dimension des physischen Krafteinsatzes des Angreifers um ein Vielfaches übersteigt.

Bei Meistern entsteht mit dem Haften auch die Kraft der Entwurzelung. Dabei wird der Gegner in einer einzigen Bewegung ohne sichtbaren Krafteinsatz vom Boden aufgehoben und viele Meter weit weggeschleudert.

Abprallen: Das ist die höchste Stufe. Das Qi wird in der Weise verdichtet, dass es einem den Körper umgebenden Netz gleicht, an dem geworfene Gegenstände und jeder gegen den Körper gerichtete Angriff abprallt.


Der Kampfstil der Äußere Schule:

Die Shaolin beantworten jeden Angriff hart und schnell.

Sie lenken Qi in die bedrohten Körperzonen und ummanteln ihre inneren Organe mit Qi. Dadurch sind sie gegen Schläge und Hiebe mit Fäusten und Waffen und auch bei Stichen nahezu unverletzlich und wenden ihrerseits vernichtende Schläge an.

Die Shaolin üben von Anfang an das Sammeln von Qi im „Mittleren Dant'ien“.

Schon von Beginn an ist die Ausbildung auf Effizienz im Kampf ausgerichtet.

So versuchen die Adepten nach jeder Sitzung, ihren Körper durch Schläge von außen abzuhärten. Erst mit der Hand und der Faust, dann mit dem Stock und schließlich mit dem Eisen. Sie werden dabei von ihrem Meister begleitet und unterrichtet.

Bei diesem extremen und harten Training, das sehr hohe Anforderungen stellt, kommt es doch auch vereinzelt zu schweren inneren Verletzung, Magen- und Darm- Blutungen und zur Schädigung von Organen durch die Erschütterungen.

Die Fähigkeit, das Qi in die Extremitäten zu leiten und die kunstvolle Beherrschung verschiedenster Waffengattungen wird bis zur Vollendung trainiert, so dass letztlich die spektakulären Kunststücke beherrscht werden, die man von den Vorführungen der Shaolin kennt.

All das funktioniert nur, weil durch die Vorstellung (Yi) das Qi gelenkt wird und den Körper schützt.

Beide Schulen sind in höchstem Maße effizient und demonstrieren eindrucksvoll die Macht des Geistes über den Körper.

Der Weg der Inneren weichen Kampfkunst ist allerdings sehr viel schwieriger und dauert daher erheblich länger.

Auf der Stufe der Meisterschaft sind beide Stile unschlagbar, beweisen wird sich das aber nie lassen. Denn für jeden Meister, egal ob Shaolin oder Daoist gilt:

Die höchste Form des Kampfes ist das „Nicht-kämpfen.“

Die Daoisten sagen: „Wenn man das Dao auf einer hohen Ebene kultiviert hat, ist die Gelegenheit zum Kampf sehr unwahrscheinlich. Streite dich nicht mit der Welt um weltliche Dinge.“

Wierd dieser Grundsatz befolgt, gibt es kaum eine Grundlage für kämpferische Auseinandersetzungen und „die erworbene Kampfkunst bleibt tief verborgen und kommt nicht zum Vorschein“, sagen die alten Daoisten.

Bei beiden Schulen ist die Idee die geistig-seelische und spirituelle Entwicklung. Nur der Weg ist unterschiedlich.




©2011 Copyright: Dr. Reinhard Hörmann

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