Montag, 1. August 2011

Das „Innere Stärkende Qi Gong“ ("Ch'iang-chuang-kung")

Das „Innere Stärkende Qi Gong“ ist, wie das „Innere Nährende Qi Ging“, eine Form des „Stillen Qi Gong“ „(„Jing Gong“).
Es besteht aus Übungen in Ruhe, die im Liegen, Sitzen oder Stehen ausgeführt werden.

Nach außen hin herrscht zwar Ruhe vor, im Inneren widmet sich der Übende jedoch ganz der Bewegung des Qi Flusses.

Allen Übungen des Stillen Qi Gong ist gemeinsam, dass zunächst die Entspannung von Muskeln, Sehnen, Gelenken und Bändern herbeigeführt wird, der innere Ruhe und Stille folgt.

Der Zusammenhang von körperlicher Entspannung mit der dazu korrespondierenden Entspannung der Großhirnrinde und „vice versa“ wurde in diesem Blog schon vielfach erwähnt.

Wichtig ist vor allem die Bereitschaft des Übenden, sämtliche störende Gedanken abzulegen.

Nach der Übung ist genug Zeit, sich diesen Gedanken zu widmen. Die Chinesen sagen, störende Gedanken sind vor der Übung abzulegen wie die störenden Habseligkeiten ( wie zum Beispiel Gürtel, Portmonee, Uhr, Handy, enge Kleidung etc. ).

Gelingt es, äußere Entspannung und Innere Stille herzustellen, folgen die Übungen, bei denen die Aufmerksamkeit („Yi“) auf die Atmung gerichtet wird.

Wenn die Atmung von selbst in gewünschter Weise fließt, richtet man die Aufmerksamkeit auf das „Untere Dant'ien“. In der Vorstellung wird der Atem ganz tief in den Unterbauch in das Dant'ien gelenkt.

Es ist eine Erfahrungstatsache, dass das Qi dem Geist (der Vorstellung) folgt.

Daher vereinen wir durch unsere Vorstellung den nach unten gelenkten Atem mit Geist (Shen) und Qi im Unteren Dant'ien.

Die Vorstellung („Yi“) ist ein Aspekt von „Shen“ (Geist).


Alle Übungssysteme des Stillen Qi Gong sind grundsätzlich in drei Stufen aufgebaut:


Die erste Stufe ist äußere Entspannung und Innere Stille,

die in der zweiten Stufe mit konzentrierten Atemübungen weitergeführt wird.

Die dritte und höchste Stufe ist die Stufe der Meister:

Es ist die Stufe des Wu Wei, des „Tun im Nichtstun“, das ist höchste Harmonie und Leere, ein Zustand, in dem der Körper mit Umwelt und Kosmos eins ist, ruhig und leicht, ohne Form, ohne Polarität, ohne Täuschung des Selbst, das Qi der Natur wird vom Geist aufgenommen, der ganze Körper atmet durch die Poren.

Die „Inneren Übungen“ des Stillen Qi Gong bestehen der historischen Entwicklung nach aus den „Inneren Stärkenden Übungen“ („Ch'iang Chuang Gong“), die ihrem älteren Ursprung nach eng mit der daoistischen Tradition verbunden sind

und den später entstandenen „Inneren Nährenden Übungen“ („Nei Yang Gong“), die von dem Arzt Liu Kui-chen 1957 in einem Buch einer interessierten Öffentlichkeit zugängig gemacht wurde und wegen der nachgewiesenen Heil-Erfolge in den Sanatorien Chinas weltweit breite wissenschaftliche Anerkennung fanden. Darüber wurde in diesem Blog schon ausführlich in den Posts über „Inneres Nährendes Qi Gong“ geschrieben.


Die „Inneren Stärkenden Übungen“:


Die Körperposition ist frei wählbar, wobei bei den Sitzpositionen der Lotussitz (beide Fußrücken liegen auf den Oberschenkeln) oder der Halblotussitz (der linke Fuß liegt unter dem Körper, der rechte liegt auf dem linken Oberschenkel) bevorzugt werden.

Ist das nicht möglich, kann auch auf einem Schemel oder Hocker ohne Lehne gesessen werden.

Der Nacken ist dabei entspannt, die Schultern und Arme hängen locker, das Kinn ist leicht angezogen, die Hände liegen mit den Handflächen nach oben ineinander im Schoß, die Wirbelsäule ist aufgerichtet, die Wirbel liegen wie Scheiben aufeinander und der Kopf sitzt so auf der Wirbelsäule, dass der Bai Hui (Scheitelpunkt Mitte Schädeldecke) senkrecht über dem Bai Hui (Mitte Perineum) liegt, die Augen sind halb offen, der Blick ist nach innen gerichtet.

Bei Übungen morgens oder abends wird die stehende Position empfohlen. Wenn möglich soll in der Natur, in gesunder Umgebung mit viel frischer Luft an einem von Zugluft geschützten Ort geübt werden.

Dabei wird die übliche Stehposition eingenommen. Beine schulterbreit auseinander, Kopf leicht nach vorne geneigt, Kinn leicht angezogen, Kopf und Nacken entspannt, die Schultern hängen locker und sind leicht nach vorne gezogen, der Rücken wird dadurch breit und die Brust nicht hinausgestreckt. Die Arme sind locker in einem solchen Abstand vom Körper, dass in den Achselhöhlen ein Tischtennisball Platz hätte. Die Hände werden vor dem Unterbauch leicht angehoben so gehalten, dass die Finger voneinander einen Abstand von einigen Zentimetern haben, wie wenn man einen leichten Ball vor dem Dant'ien halten würde.

Diese tiefe Handhaltung empfiehlt sich für Übende mit erhöhtem Blutdruck.

Bei normalem Blutdruck werden die Hände leicht vor der Brust so gehalten, als wenn man einen großen Ball sanft zur Brust drücken wollte.

Personen mit zu niedrigem Blutdruck heben die Hände in dieser stehenden Stellung bis in Schulterhöhe.

Die Haltung soll jedenfalls locker sein, der leicht nach vorne geneigte Kopf soll wie am Scheitelpunkt (Bai Hui) auf einem Seidenfaden aufgehängt sein, wobei die einzelnen Wirbel der Wirbelsäule bis zum Steißbein einer nach unten hängenden Perlenschnur gleichen.

Das Becken wird leicht nach vorne gekippt, wie in der Anfagsbewegung des Niedersetzens.

Es wird eine Position eingenommen, die das Gegenteil eines Hohlkreuzes darstellt.


Die Entspannung:

Die Augen liegen entspannt in den Höhlen und sind halboffen, der Blick ist leer bzw. nach innen gerichtet.
Nach dem Einnehmen dieser Körperhaltung atmen wir in unserem Atemrhythmus einige Minuten weiter.


Wir beginnen, den Körper und den Geist bewusst zu lockern, indem die Luft durch den Mund ausgeatmet (hinaus geblasen) und gleichzeitig Kopf- und Nackenmuskulatur bewusst entspannt wird.

Beim Hinaus-blasen der Luft durch den Mund denken wir „entspannen“, „Ruhe“ oder „locker“.

Sind Kopf und Nacken entspannt, folgen einige ruhige Atemzüge durch die Nase , dann bläst man wieder die Luft durch den Mund hinaus, entspannt gleichzeitig die Schultern und die Armmuskulatur und denkt wieder dabei die gleiche vorher gewählte Affirmation.
In gleicher Weise geht man vor bei Brust und oberem Rücken bis zum Gürtel, Unterbauch und unterem Rücken,
dann Oberschenkel und letztlich Unterschenkel mit den Füßen.
Die Atemmethoden des Innere Stärkenden Qi Gong:
  1. Die alltägliche Atemmethode:
Es wird durch die Nase entspannt und sanft ein- und ausgeatmet. Das Ein- und Ausatmen fließt natürlich und ist gleich lang.

Im Gegensatz zum „Inneren Nährenden Qi Gong“ wird KEINE Atempause gemacht.

Die Zunge liegt hinter den oberen Schneidezähnen am Gaumenbogen und bleibt dort unverändert während der ganzen Übungsdauer.

Der Atem wird während des Übens immer ruhiger und tiefer, wird langsamer und fließt ohne jede Kraftanstrengung.

Sobald der Atem wie von selbst fließt, vergisst man den Atem und richtet seine Aufmerksamkeit auf das Untere Dant'ien.

Diese Methode ist wegen der geringen Anforderungen besonders für Anfänger geeignet, weil der Atem nur sanft und ruhig sein muss.

Diese Atmungsform ist kräftigend, harmonisiert Yin und Yang und beruhigt den Gesamtorganismus.

  1. Die Methode der tiefen Atmung:
Diese Atmung soll langsam, lang, sanft und tief sein. Die Zunge liegt und bleibt während der gesamten Übung hinter den oberen Schneidezähnen am Gaumenbogen.

Der Übergang zwischen Ein- und Ausatmung soll rund und unmerklich sein, gleich einer sanften Welle, die sich aufbaut und wieder abflacht, rhythmisch, ohne Pause. Man stelle sich einen Seidenfaden vor, der sanft und langsam nach vorne und zurück gezogen wird, kontinuierlich und rund, um ja nicht zu reißen.

Die Atmung erfolgt ausschließlich durch die Nase tief in den Unterbauch. Ziel ist, dass die sanfte und tiefe Bauchatmung reflektorisch wird.

Diese Atmung reguliert den Blutdruckdruck, hilft Neurasthenikern (Menschen mit Neigung zur Störung im vegetativen Nervensystem) und schafft Abhilfe bei Verdauungsstörungen.
  1. Die Methode des umgekehrten (paradoxen) Atmens:
Bei dieser Atemmethode wird beim Einatmen der Bauch leicht eingezogen und das Perineum sanft angespannt. Der Brustkorb wird beim Einatmen natürlich ausgedehnt. Die Zunge liegt und bleibt während der ganzen Übung hinter den oberen Schneidezähnen am Gaumenbogen. Die Atmung erfolgt durch die Nase, ohne jede Atempause. Bei der Ausatmung dehnt sich der Bauch locker aus und der Brustkorb bleibt völlig entspannt. Die Atmung muss ohne jede Kraftanstrengung, leicht, locker und ruhig, das heißt ohne Hast und Eile sein.


Wichtig für die Inneren Stärkenden Übungen:

Die Alltägliche Atmung kann auch vor und nach dem Essen geübt werden.

Bei Gewitter und Unwetter soll überhaupt nicht Qi Gong geübt werden.

Die Dauer der Atemübung sollte anfangs 10 Minuten, später bis 20 Minuten betragen

Die Bauchatmung soll weder mit leerem Magen noch mit innerhalb einer Stunde nach dem Essen durchgeführt werden.

Die Paradoxe Atmung darf niemals mit vollem Magen durchgeführt werden.

Wenn sich beim Üben vermehrter Speichelfluss einstellt, soll der Speichel keinesfalls ausgespuckt, sondern im Mund gesammelt werden. Dieser angesammelte Speichel wird bei den Daoisten auch „Honigtau“ oder „Wein des langen Lebens genannt“. Auch in der Meditation wird die aufsteigende Energie in speichelartigen Nektar verwandelt und soll in kleinen Schlucken wieder in den Unterleib zurückfließen. Im I Ging heißt es: „So isst und trinkt der Edle“! Das in Speichel verwandelte Qi soll durch die Kehle ins Untere Dant'ien zurückfließen.

Sobald der Atem von selbst in gewünschter Weise fließt, wechselt die Aufmerksamkeit zum Unteren Dant'ien.

Bei den Übungen nimmt man den Körper als unbeteiligter Beobachter wahr, teilnahmslos, ohne zu werten. Sollten im Du Mai (Lenker Gefäß) entlang der Wirbelsäule , im Ren Mai (Diener Gefäß) in der Mitte des vorderen Oberkörpers oder im Dai Mai (Gürtel Gefäß) entlang der Gürtellinie Wärmegefühle auftreten, so ist das nicht zu bewerten. Das ist normal, wenn es kommt und normal, wenn es nicht kommt. Auf den Erfolg der Übungen hat dieses Wärme - Symptom keinen Einfluss. Eventuell auftretender Juckreiz vergeht von selbst und ist nicht zu beachten. Keinesfalls kratzen!

 
Es gibt viele Beweise in Studien für die heilende Wirkung der „Inneren Nährenden Übungen“ und der „Inneren Stärkenden Übungen“ bei Neurasthenie, Blutdruckproblemen, Krankheiten des Verdauungsapparates, Magengeschwüren oder Magensenkung.

Nachgewiesen ist auch die positive Wirkung von beiden Übungssystemen auf die Beruhigung des Gesamtorganismus und des ganzen Nervensystems.

Es ist also Tatsache, dass wir hier zwei Methoden haben, die nachweislich mit großen Heilerfolgen eingesetzt wurden und werden. Viele chinesische Ärzte betrachten beide Übungssysteme als zusammenhängende Methode und nutzen beide, wobei zu der völligen  Wiederherstellung der Gesundheit meist die "Inneren Nährenden Übungen" und zur Vorbeugung gegen Krankheiten die "Inneren Stärkenden Übungen" bevorzugt werden.
Vielleicht sollte man beide Methoden ausprobieren und letztlich die Methode wählen, wo man sich wohler fühlt.
Meiner Erfahrung nach ist beim Qi Gong die Übungsmethode nicht so entscheidend wie die lockere mentale Einstellung und die Fähigkeit, störende Gedanken abzulegen und seine Gedanken und Aufmerksamkeit auf „EINES“ (einspitzig aufs Atmen bzw Dant'ien) zu richten .

Besonders bedeutend ist, dass durch ständiges Üben und Wiederholen der Reflexautomatismus entwickelt wird und dass die Übungen in vollständiger innerer Harmonie abgeschlossen werden und in den Zustand der passiven Ruhe führen. Nur in diesem Zustand können die natürliche Selbstheilkräfte des Körpers zur Wirkung kommen. Die passive Ruhe ist das Yin, das für die Wirksamkeit der Übungen (Yang) erforderlich ist.



©2011 Copyright: Dr. Reinhard Hörmann

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